Bremen, 16. April 2021
Die Corona–Pandemie ist auch eine psychologische Krise
Erfolgreiche Online–Veranstaltung
der Landeskammern Rheinland–Pfalz und Bremen am 9.4.2021
Covid–19–Erkrankungen, Long–Covid und die Belastungsfaktoren der Pandemie können
psychische und neuropsychologische Folgen haben, die Menschen aller Altersklassen betref-
fen. Es zeigt sich eine Zunahme an psychischer Belastung und eine deutlich erhöhte Nach-
frage nach psychotherapeutischer Behandlung bei bereits vielerorts langen Wartezeiten auf
Psychotherapie–Plätze.
Die individuellen psychischen, sozialen und ökonomischen Ressourcen spielen eine große
Rolle bei der Bewältigung dieser langandauernden Belastungssituation. Besonders gefährdet
sind Menschen mit bereits vorbestehenden psychischen und somatischen Erkrankungen
sowie Familien, die über wenig Ressourcen verfügen. Starke psychische Belastungen wie
Angst– und Traumafolgestörungen können sich auch bei Menschen finden, die wegen
Covid–19 intensivmedizinisch behandelt wurden.
Dem Thema „Corona und psychische Gesundheit: Auswirkungen und Versorgung“ widmete
sich deshalb eine Online–Fachveranstaltung mit rund 200 Teilnehmern, die die Landespsycho-
therapeutenkammer Rheinland–Pfalz und die Psychotherapeutenkammer Bremen gemeinsam
am 9. April 2021 durchführten.
Die Vorträge der verschiedenen Expert*innen für psychische Gesundheit verdeutlichen, dass
häufig sehr komplexe Belastungs– und Behandlungssituationen vorgefunden werden. Psycho-
soziale Angebote wie Intensivierung der Schulsozialarbeit und Jugendhilfe können sowohl prä-
ventiv als auch gemeinsam mit einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt werden.
Gruppenpsychotherapeutische Angebote, Beratungsstellen sowie Selbsthilfegruppen sollten
besonders gefördert werden, um den großen Bedarf an Behandlung sowie Unterstützungsan-
geboten leichter begegnen zu können. Insgesamt ergibt sich auch ein großer Bedarf an inter-
disziplinärer Zusammenarbeit, insbesondere auch im Hinblick auf Long–Covid. Die psycho–
logische Komponente bei der Bewältigung der Folgen der Pandemie muss sowohl in der For-
schung als auch in den gerade entstehenden Covid–Ambulanzen ausreichend berücksichtigt
werden. Die Anerkennung als Berufskrankheit erfordert spezifische psychotherapeutische An-
gebote auch der Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungen.
Die Politik ist hier gefordert, zusammen mit Expert*innen für psychische Gesundheit entspre-
chende Bedarfe zu identifizieren und Versorgungs– und Unterstützungsangebote zu intensi-
vieren bzw. zu schaffen.
Prof. Dr. Michael Witthöft, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der
Universität Mainz, stellte in seinem Vortrag bei der Veranstaltung eine eigene Studie zu den
Auswirkungen des ersten Lockdowns auf die psychische Gesundheit vor. Jüngere Personen
sowie Personen mit einer psychischen Störung waren besonders negativ von sozialer Distan-
zierung und Quarantäne betroffen. Depressive, ängstliche und psychosomatische Beschwer-
den kamen in der untersuchten Gruppe mehr als doppelt so häufig vor wie ohne Pandemie zu
erwarten wäre.
Sabine Maur, Psychologische Psychotherapeutin und Präsidentin der Landespsychothera-
peutenkammer Rheinland–Pfalz, schilderte die vielfältigen Belastungen für Kinder, Jugendli-
che und Familien in der Pandemie. Der Verlust sozialer Kontakte und von wichtigen Freizeit-
beschäftigungen, die Angst vor Ansteckung von Angehörigen und schweren Erkrankungsver-
läufen, die Sorgen um die Zukunft und die schulische Entwicklung belasten viele Jugendliche.
Hinzu kommen besorgniserregende Entwicklungen im Hinblick auf die Auswirkungen von
LongCovid bei Kindern und Jugendlichen. „Wir brauchen dringend eine bessere psychosoziale
Unterstützung von besonders belasteten Familien. Außerdem sehen wir eine Zunahme von
Therapieanfragen für Kinder und Jugendliche von 60%. Hier müssen die Krankenkassen ihrer
Pflicht zur Finanzierung von Psychotherapie per Kostenerstattung nachkommen.“
Sabine Unverhau, Psychologische Psychotherapeutin und Neuropsychologin, stellte die neu-
ropsychotherapeutische Behandlung vor von Menschen mit neuropsychologischen Sympto-
men und Belastungen in Folge einer Covid–19–Erkrankung. Dazu gehören u.a. Symptome wie
Aufmerksamkeits– und Gedächtnisprobleme sowie Schwierigkeiten, Alltagshandlungen zu pla-
nen und durchzuführen. Schon vor Corona habe es zu wenig Anlaufstellen für neuropsycho-
logische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen gegeben.
Amelie Thobaben, Psychologische Psychotherapeutin und Präsidentin der Psychotherapeu-
tenkammer Bremen, beschrieb die Posttraumatische Belastungsstörung nach schwerer Co-
vid–19–Erkrankung. „Lebensbedrohliche Situationen zu erleben und dabei hilflos zu sein, stellt
eine besondere psychische Belastung dar. Wenn die Psyche damit überfordert ist, dann ent-
wickeln sich oft extrem belastende psychische Symptome. Das betrifft nicht nur Erfahrungen
eigener Lebensbedrohung, sondern auch die des Bettnachbarn in der Klinik oder der Patientin,
die man behandelt.“ Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen sollten auch in somatischen
Kliniken, vor allem auf Intensivstationen zum Behandlungsteam gehören. „Erfolgreiche Be-
handlung oder Beratung im Sinne einer Frühintervention stellen einen präventiven Faktor bei
Entwicklung psychischer Störungen dar“, sagte Amelie Thobaben.
Florina Willand, Psychologische Psychotherapeutin, teilte eindrucksvolle Erfahrungen aus ih-
rer psychotherapeutischen Arbeit mit Covid–19–Patient*innen in einer pneumologischen
Rehaklinik. Die gruppenpsychotherapeutischen Angebote für Menschen mit ähnlichen Erfah-
rungen stelle eine gute Möglichkeit dar, um mit begrenzten Ressourcen mehr Menschen be-
handeln zu können. Selbsthilfegruppen müssten gestärkt werden, Ärzt*innen sollten geschult
werden hinsichtlich möglicher psychischer Folgestörungen von schweren Covid–19–Verläufen.
Auch eine Sensibilisierung der Arbeitgeber sei wichtig.
Weitere Informationen zur Veranstaltung, zu den Referent*innen sowie die Präsenta-
tionen der Veranstaltung finden Sie hier: https://www.pk–hb.de/show/8844926.html
Pressemitteilung 16.04.2021: Die Coronapandemie ist auch eine psychologische Krise (PDF, 128 kb)